In der Medizin und Industrie ist es oft wichtig, genau zu verstehen, wie schnell eine chemische Reaktion abläuft und welche Faktoren die Reaktionsgeschwindigkeit beeinflussen. So lassen sich Prozesse in Natur und Technik besser verstehen und gezielt steuern. Die Reaktionskinetik untersucht, wie schnell eine chemische Reaktion abläuft – also, wie lange es dauert, bis ein Substrat (Ausgangsstoff) in ein Produkt (Endstoff) umgewandelt wird. Dabei wird auch untersucht, welche Bedingungen und Einflüsse die Geschwindigkeit der Reaktion verändern können. Kommen bei Reaktionen Enzyme zum Einsatz, wird für die Reaktionskinetik häufig die Michaelis-Menten-Kinetik verwendet. Deshalb liegt der Fokus hier auf dieser Form der Enzymkinetik.
Eine Eisdiele als Beispiel der Enzymkinetik
Die Funktionsweise von Enzymen lässt sich gut mit einer Eisdiele vergleichen: Die Kunden, die ein Eis kaufen möchten, stehen für die Substrate – also die Ausgangsstoffe der chemischen Reaktion. Die Verkäufer sind die Enzyme, die dabei helfen, die Substrate in Produkte umzuwandeln, also in bediente Kunden mit Eis. Wenn nur wenige Kunden in die Eisdiele kommen, werden diese schnell bedient. Die Verkäufer haben dabei immer wieder Leerlauf, bis neue Kunden eintreffen (Abb. 1a und 2a). Je mehr Kunden dazukommen, desto mehr Eis kann verkauft werden – die Reaktionsgeschwindigkeit steigt (Abb. 1b und 2a). Doch jeder Verkäufer kann nur eine bestimmte Anzahl an Kunden bedienen. Wird es zu voll, dauert jede Bedienung länger, und irgendwann sind die Verkäufer komplett ausgelastet (Abb. 1c und 2a). Ab diesem Punkt bringt es nichts mehr, zusätzliche Kunden (Substrate) hinzuzufügen – die Anzahl der bedienten Kunden bleibt gleich, da die Verkäufer ihre maximale Kapazität (Vmax) erreicht haben. Nur wenn mehr Verkäufer (Enzyme) dazukommen (Abb. 1d und 2b), lässt sich die Zahl der bedienten Kunden wieder steigern.


A: Reaktion bei konstanter Anzahl an Verkaufenden (Enzymen). B: Vergleich der Reaktion bei geringer Zahl an Verkaufenden (schwarze Kurve) und erhöhter Anzahl an Verkaufenden (rote Kurve).
Michaelis-Menten-Kinetik
In der Enzymforschung ist es schwierig, den genauen Punkt der maximalen Reaktionsgeschwindigkeit (Vmax) zu bestimmen, da Enzyme kontinuierlich Substrate binden und Produkte abgeben. Stattdessen betrachtet man einen gut messbaren Punkt im Verlauf der Reaktion: den Moment, an dem die Reaktionsgeschwindigkeit genau die Hälfte von Vmax erreicht hat (Abb. 3a). Dieser Wert ist besonders aussagekräftig, weil an diesem Punkt das Enzym weder vollständig ausgelastet noch kaum aktiv ist. So lässt sich zuverlässig abschätzen, wie stark ein Substrat an ein Enzym bindet. Die dazugehörige Substratkonzentration nennt man Michaelis-Menten-Konstante (Km). Sie gibt an, bei welcher Substratkonzentration die Reaktion halb so schnell wie maximal möglich abläuft. Km bleibt dabei unabhängig von der Enzym- oder Substratmenge und verändert sich nur, wenn sich die Bindungseigenschaften zwischen Enzym und Substrat ändern (Abb. 3b).
Du kannst Km berechnen, aber auch in einem Diagramm sehen. In dem Diagramm wird die Reaktionsgeschwindigkeit (y-Achse) gegen die Substratkonzentration (x-Achse) aufgetragen. Die resultierende Kurve wird als Sättigungskurve bezeichnet, da die Enzymreaktion bei Vmax den Sättigungszustand erreicht hat. Beim Sättigungszustand sind alle Enzyme mit einem Substrat besetzt, so dass die Reaktionsgeschwindigkeit nicht steigen würde, wenn mehr Substrat hinzu gegeben werden würde.

A: vmax zeigt die theoretische Maximalgeschwindigkeit der Reaktion. vmax/2 zeigt die Hälfte der maximalen Reaktionsgeschwindigkeit. Km zeigt die Substratkonzentration, bei der die Hälfte der Reaktionsgeschwindigkeit erreicht ist. B: Die schwarze Linie zeigt eine geringere Enzymkonzentration, die rote Linie eine erhöhte. Der Km-Wert bleibt gleich.
Möglichkeiten zur Beeinflussung der Enzymaktivität
Neben der Menge an Enzym und Substrat spielen auch die Umgebungsbedingungen eine entscheidende Rolle für die Geschwindigkeit und Effizienz enzymatischer Reaktionen. Insbesondere Temperatur und pH-Wert beeinflussen, wie gut ein Enzym arbeiten kann. Beide Faktoren wirken sich direkt auf die Struktur des Enzyms und die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Enzym-Substrat-Wechselwirkung aus.
Die Aktivität von Enzymen hängt maßgeblich von der Temperatur ab. Je nach Herkunft des Enzyms gibt es einen bestimmten Temperaturbereich, in dem es stabil und aktiv bleibt. Innerhalb dieses Bereichs kann eine höhere Temperatur die Bewegung der Moleküle beschleunigen und so die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Enzym und Substrat aufeinandertreffen. Wird die optimale Temperatur erreicht, kann die Reaktion ihre maximale Geschwindigkeit entfalten. Steigt die Temperatur jedoch darüber hinaus, besteht die Gefahr, dass das Enzym denaturiert und seine katalytische Aktivität vollständig verliert.
Auch der pH-Wert des Mediums beeinflusst die Enzymaktivität entscheidend. Er wirkt sich auf die Ladung der Aminosäuren aus, die das aktive Zentrum des Enzyms bilden. Nur bei einem optimalen pH-Wert bleibt die räumliche Struktur des aktiven Zentrums erhalten, sodass die Enzym-Substrat-Wechselwirkung zuverlässig stattfinden kann. Liegt der pH-Wert außerhalb dieses Bereichs, kann das Enzym inaktiv werden oder sich so verändern, dass keine Reaktion mehr möglich ist.
Neben einer höheren Enzymmenge sowie optimaler Temperatur und pH-Wert lässt sich die Reaktionsgeschwindigkeit auch dadurch steigern, dass die Enzyme im Reaktionsraum optimal verteilt sind – ganz ähnlich wie in einer gut organisierten Eisdiele, in der alle Abläufe reibungslos ineinandergreifen. Genau dieses Prinzip zeigen wir anschaulich in unserem Experiment mit der Blasensäule.