Mit Katja durch den Familienalltag

Hier können Sie Katja durch ihren Alltag begleiten. Im Text rechts nimmt Katja Sie mit, auf der Karte erfahren Sie mehr Details zu den einzelnen Wegestationen, die als Kreise dargestellt sind. Im Menü rechts oben können Sie die Reichweite von Katjas Teilzeitkarte zuschalten und erfahren so, wie weit Katja zu einer bestimmten Uhrzeit fahren kann.

Die Familiären Profis

Katja, 42 Jahre, alleinerziehend, drei Kinder
Wohnhaft in Hamburg-Osdorf

Der Tag für Katja fängt früh an. Aufstehen, Kinder wecken, ein schnelles Frühstück und dann geht es mit allen drei Kindern um 7:30 Uhr schon raus. Die beiden Großen werden zur Grundschule gebracht. Luisa ist zwar schon in der dritten Klasse, aber Katja mag sie noch nicht alleine loslaufen lassen. Das Nesthäkchen kommt mit, da die Kita erst um 8:30 Uhr aufmacht. Katjas HVV-Teilzeitkarte gilt erst ab 9 Uhr, also geht sie mit den Kindern zu Fuß zur Schule. Das geht heute ohne viel Gequengel und recht zügig. Nachdem Katja sich von den beiden Schulkindern verabschiedet hat, geht es gleich weiter. Die Laune der vierjährigen Paula ist umgeschlagen und der Weg zur Kita gestaltet sich anstrengender. Katja ist ein wenig unter Stress, da sie um 9:30 Uhr einen wichtigen Termin im Jobcenter hat. Auf der Schwelle der Kita spricht Katja noch kurz mit der Erzieherin, und dann geht es auch schon weiter. Mit dem Bus fährt sie zum Jobcenter. Zum ersten Mal an diesem Morgen kann Katja ihre Teilzeitkarte nutzen. Sie ärgert sich, dass diese ihr oft nichts bringt. Morgens und nachmittags müsste sie sich zusätzliche Einzeltickets kaufen. Die kann und möchte sie sich nicht leisten. „Weil da bin ich auch zu geizig, tut mir leid, jeden Tag da noch zusätzlich zu zahlen.“ So nimmt sie den Stress und den Zeitaufwand in Kauf, mit den Kindern zu Fuß zu gehen.

Die Probandin Katja nutzt eine HVV-Teilzeitkarte. Es handelt sich um eine Abo-Karte, die montags bis freitags außerhalb der Hauptverkehrszeit gilt. Zwischen 6 und 9 Uhr sowie zwischen 16 und 18 Uhr darf der Nahverkehr nicht genutzt werden. Mit dieser Einschränkung ist die Karte um 55% günstiger als die Vollzeitkarte[1]. Die beträchtliche finanzielle Ersparnis wird durch einen Einschnitt in der Flexibilität erkauft: Proband:innen berichten von der ständigen Belastung, den Alltag an die Sperrzeiten anzupassen.

←In der Karte sehen Sie den Stadtraum, den Katja kurz vor der Sperrzeit erreichen kann. Oben rechts können Sie die Reichweite der Teilzeitkarte verändern.

Diese Abwägung – flexibel fahren oder Geld sparen – müssen natürlich nicht nur Menschen in Armut vornehmen. Für sie aber hat die Frage ungleich mehr Bedeutung. Was Katja im Interview als „Geiz“ beschreibt, ist der finanzielle Zwang, bei der Teilhabe Abstriche zu machen.

Auch beim Jobcenter wird es heute um ihre Mobilität gehen: Katja hat sich in den Kopf gesetzt, den Führerschein zu machen. Das möchte sie sich im Rahmen einer Weiterbildung finanzieren lassen. Die Sachbearbeiterin ist ihr wohlgesonnen, stellt Katja erleichtert fest. Sie hat da schon andere Erfahrungen gemacht. Jedenfalls werden ihr die Möglichkeiten aufgezeigt, um den Führerschein zu finanzieren. Katja hat selbst schon Kontakt zu einem Kurierdienst geknüpft und nach einem Job gefragt. Frohgestimmt verlässt sie das Jobcenter und fährt mit dem Bus zu ihrer Mutter, der sie bei einem Kaffee von ihrem Erfolgserlebnis berichten kann.

Das Jobcenter fördert verschiedene Weiterbildungen für Menschen, die „Hartz IV“ beziehen. In bestimmten Fällen bezahlt das Jobcenter die Kosten für den Führerschein. Voraussetzung ist die Zusage einer Firma, die der Person einen Arbeitsplatz anbietet. Es handelt sich dabei um eine Ermessens-Entscheidung. Der oder die Bearbeiter:in im Jobcenter kann also im Einzelfall darüber entscheiden, den Führerschein zu finanzieren. Ein Führerschein eröffnet die Möglichkeit, unabhängig vom Nahverkehr zur Arbeit fahren zu können. Besonders für Jobs, die sich früh morgens oder spät abends abspielen (zum Beispiel in der Gebäude-Reinigung oder im Sicherheitsdienst), ist er bisweilen schlichtweg notwendig. Bei unseren 40 Befragten in Berlin und Hamburg wurde der Wunsch nach dem Führerschein und dem eigenen Auto mehrfach geäußert. Allerdings fiel der Wunsch eher im Zusammenhang mit Wohlstand und Bequemlichkeit. Dass sie sich durch den fehlenden Pkw-Zugang ausgegrenzt fühlen, haben die Proband:innen nicht geäußert.

Nach dem Durchschnaufen geht es dann auch schon wieder zur Schule. Heute geht es mal gut auf, da beide Kinder zeitgleich um 13:30 Uhr Schulschluss haben. Dann wird Paula von der Kita abgeholt und es geht ab nach Hause. Nach dem Mittagessen passt Katja darauf auf, dass die Kinder ihre kleinen Pflichten erfüllen: Hausaufgaben machen, Zimmer aufräumen, und so weiter. Am frühen Abend kommt Katjas Bruder mit seinem zweijährigen Sohn vorbei. Das gibt ihr die Möglichkeit, noch schnell einkaufen zu gehen. Katja geht meist spät einkaufen. In manchen Supermärkten werden nämlich die Preise für Gebäck, Gemüse und Fleisch abends heruntergesetzt, wodurch sie bei den Lebensmitteln an Kosten sparen kann. Darüber hinaus nutzt sie regelmäßig das Angebot der Lebensmitteltafel der Kirchengemeinde. Nach erfolgreicher Einkaufstour geht Katja schwerbepackt nach Hause. Ihr Bruder, der derweil auf die Kinder aufgepasst hat, wirkt müde und verabschiedet sich schnell. Und auch für Katja geht der Tag in die Zielgerade. Kinder bettfertig machen, noch eine Geschichte vorlesen. Schließlich kommt auch Katja zur Ruhe. Fast jedenfalls: Noch im Bett liegend denkt Katja darüber nach, was sie den Kindern ermöglichen kann. Fast jedes Wochenende fahren die vier irgendwo hin. Und das will geplant sein. Proviant zusammenstellen. Schauen, wie sie möglichst nervenschonend und schnell zum Ziel kommen. Katja möchte den Kindern möglichst viel zeigen. Was sie schon alles gemacht haben: Zusammen waren sie in Hagenbecks Tierpark mit dem großen Wildgehege. Gut, die Fahrt war eine kleine Tortur. Aber für die Kinder war es schön. Der Dombesuch macht auch immer viel Spaß, wenn es auch meistens nur für eine Portion Zuckerwatte reicht. Am Sonntag möchte Katja mit den Kindern eine „Hafenrundfahrt“ machen. Ihrem knappen Budget entsprechend, wird die Familie dafür die Elbfähre 62 besteigen, für die der HVV-Tarif gilt.

Katja lässt sich als Familiärer Profi in der Organisation beschreiben. Diesem Typ haben wir 6 der 40 Befragten zugeordnet: Sie nutzen jede Gelegenheit, um ihren Kindern etwas bieten zu können. Im gegebenen Rahmen – ein geringes Einkommen, dazu oft die Rolle als alleinerziehende Mutter/Vater – suchen sie aktiv nach Möglichkeiten, den Kindern etwas Gutes zu tun. In ihrem Mobilitätsalltag bedeutet das: Die Familiären Profis wissen genau über den Tarif Bescheid und ordnen ihre Bedürfnisse der Zeitbeschränkung unter, die ihnen beispielsweise eine Teilzeitkarte abverlangt. Dafür nutzen sie es aus, wenn das Ticket am Wochenende ganztägig gilt. Sie wissen, welchen Freizeitnutzen der HVV bietet (im Beispiel: Elbfähre 62) und nehmen diese Gelegenheit wahr.   
Um Mobilität unter eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten zu realisieren, wenden die Familiären Profis problemorientierte Bewältigungsstrategien an. Sie versuchen, die Problemlage positiv zu verändern. Im Rahmen einer solchen Strategie analysieren sie die Situation und suchen gezielt nach Informationen, zum Beispiel indem sie proaktiv Beratungsstellen aufsuchen. Mobilität bedeutet für die Familiären Profis, aus den begrenzten Möglichkeiten das Beste herauszuholen – zum Wohl der Kinder und für die eigene Teilhabe am Leben.


[1] Vergleich der Teilzeitkarte Hamburg AB (31,20 EUR) mit der Vollzeitkarte Hamburg AB (68,90 EUR), beide im Abo für Inhaber:innen einer Sozialkarte. Der Hartz IV Regelsatz für Mobilität beträgt 35,99 €.  Stand Juni 2020.

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