Deutsche Forschungsgemeinschaft
SPP 1679
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Modellierung, Simulation und Optimierung von Prozessketten

Institut:

Lehrstuhl Angewandte Mathematik 2, FAU Erlangen-Nürnberg

Projektleiter:

Prof. Dr. G. Leugering, FAU Erlangen-Nürnberg

Bearbeiter:
          M.Sc. L. Pflug, FAU Erlangen-Nürnberg

M.Sc. M. Spinola, FAU Erlangen-Nürnberg

 

Projektziel

Die mathematische Beschreibung von ganzen Prozessketten mittels Fließschemata sowie deren numerischen Umsetzung wie zum Beispiel innerhalb von DYSSOL ermöglichen deren ganzheitliche Simulation. Darauf aufsetzend kann modellbasiert Optimierung im Hinblick auf gewünschte Eigenschaften des Produkts sowie energetischen Aspekten der Prozesskette angewandt werden. Die Entwicklung disperser Eigenschaften während des Prozesses sowie die Abbildung von dispersen Eigenschaften hin zu Produkteigenschaften (z.B. Absorptionsspektren, Fließeigenschaften) müssen hierzu mathematisch modelliert werden, um eine modellbasierte Optimierung der Produkteigenschaften bezüglich der Prozessparameter (z.B. Verweilzeiten, Temperatur, Strömungsgeschwindigkeiten, Rückführraten, Trennschärfe von Sieben, Mühlenleistung) zu ermöglichen.

In diesem Projekt werden sowohl die mathematische Modellierung von Prozessketten als auch deren Sensitivitätsanalyse an im SPP projektierten realen Problemstellungen durchgeführt. Die in den jeweiligen Teilprojekten modellierten Prozessen basieren mehrheitlich auf Populations-bilanzgleichungen (PBEs) gekoppelt mit algebraischen Gleichungen.

Bisherige Ergebnisse

Bei PBEs handelt es sich aus mathematischer Sicht um nichtlineare, nichtlokale Transportgleichungen, welche die Anzahlkonzentration bezüglich interner Variablen (z.B. Länge, Durchmesser) über die Zeit bilanzieren. Für reale Prozessketten muss das ganze System mathematisch abgebildet werden. In allgemeiner Form handelt es sich um die folgende nichtlineare partielle Differentialgleichung mit gegebenen Anfangs- und Randdaten:

$$\begin{align}
    \dot{q}(x,t)+\partial_x\big(R[W[q,\gamma,a,b]](x,t)q(x,t)\big) &= h[q](x,t) && t>0,x\in[x_{\min},\infty)\\
    q(x_{\min},t) & = n(t)\\
    q(x,0) & = q_0(x)\\
    W[q,\gamma,a,b]&= \int\limits_{a(x)}^{b(x)}\gamma(t,x,y)q(y,t)\text{d} y.
\end{align}$$

Im Rahmen der mathematischen Analyse der Gleichungen wurde die existierende Theorie zu nichtlokalen Transportgleichungen problemspezifisch erweitert im Hinblick auf auftretende nichtlokale Quellterme (z.B. Rückführung durch Mühle und Siebe innerhalb einer Sprühgranulations-Prozesskette) sowie auf nichtlokal von den dispersen Eigenschaften abhängenden Reifungsgeschwindigkeiten (z.B. gesamte Oberfläche, Gesamtmasse in der Partikelgrößenverteilung). Mittels der Methode der Charakteristiken und Fixpunktargumenten konnten in Kooperation mit Dr. A. Keimer (EECS, Berkeley) Voraussetzungen aufgestellt werden, um die Existenz einer eindeutigen Lösung mit hinreichender Regularität zu garantieren.

Auf der obigen Analyse basierend wurde ein numerisches Verfahren realisiert, das unter anderem auch auf die Untersuchung von Sprühgranulationsverfahren angewendet werden kann. Für dieses numerische Verfahren wurde mittels der Methode der Charakteristiken die nichtlokale partielle Differentialgleichung durch eine Diskretisierung der dispersen Eigenschaften in ein nichtlineares System gewöhnlicher Differentialgleichungen transformiert. Auf dieser Transformation basierend wurde mittels eines Zeitintegrationsschemas sowie adaptiver Orts- und Zeit-Diskretisierung ein effizientes Verfahren konstruiert.

Im Hinblick auf die Sensitivitäten wurde damit neben der Simulation des Prozesses bei Vorgabe eines Zielfunktionals auch die adjungierte Populationsbilanzgleichung simuliert und verifiziert. Dabei wurde diese innerhalb des Teilprojekts C5 über den sogenannten Lagrange-Formalismus im Bezug auf zeitabhängige Steuerungsgrößen hergeleitet. Das darauf aufbauend implementierte Optimierungsverfahren erster Ordnung wurde in Kooperation mit AG Heinrich (A3,Z) exemplarisch an einer PBE angewandt, welche die Sprühgranulation gekoppelt an eine gefilterte und gemahlene Rückführung modelliert. Die zu steuernde zeitabhängige Größe entspricht der Zuflussrate an neuen Keim-Partikeln. Wie in Abb. 1 zu sehen ist, lässt sich durch die Steuerung dieses Massenstroms der dynamisch ablaufende Prozess zielorientiert beeinflussen. Wie in Abb. 2 dargestellt ist, kann die zu mahlende Masse durch die Wahl einer optimalen konstanten Steuerung reduziert werden. Des Weiteren kann durch die iterative Berechnung einer zeitabhängigen lokal optimalen Steuerung diese zu mahlende Masse weiter reduziert werden. Durch die Reduktion dieser Masse wird natürlich auch die dafür aufzubringende Energie verringert.

Im Rahmen der Simulation und Optimierung von Mikroreaktionsanlagen im Rahmen des SPPs wurde das in unserer Gruppe entwickelte Simulationstool FIMOR (Fully Implict Method for Ostwald Ripening) genutzt, um in Teilprojekt A8 (AG Peukert) Parameterstudien der verschiedenen Steuergrößen modellbasiert durchzuführen. Aufgrund der effizienten impliziten Implementierung und der geringen Anzahl an Steuergrößen konnten dadurch innerhalb einer Kooperation von AG Peukert und AG Leugering optimale Prozessbedingungen für die jeweils gewünschten Produkteigenschaften gradientenfrei bestimmt werden. Zudem konnten einige modellbasierte Optimierungsresultate innerhalb von Teilprojekt A8 an einer Mikroreaktionsanlage umgesetzt werden. 

Weiteres Arbeitsprogramm

Das grundlegende mathematische Modell, auf dessen Basis die Sensitivitätsanalyse durchgeführt wird, wird auf Populationsbilanzgleichungen mit in der Zeit nichtlokalen Quelltermen erweitert, um eine mögliche Verweilzeit innerhalb einer Rückführung in einer Prozesskette abzubilden. Die prozesstechnische Motivation für diese Erweiterung liegt in einer Rückführung, welche eine gewisse Zeitspanne benötigt oder einer Verweilzeitverteilung unterliegt. Diese Verweilzeitverteilung kann auch in der modellierten Form von der dispersen Eigenschaft abhängen, dessen Analyse eine Verallgemeinerung der in [Spinola 2017] erzielten Ergebnisse darstellen wird.

Im Hinblick auf mögliche Steuerungen (Quellterme, Reifungsfunktion, Anfangs- und Randbedingungen) wird, so allgemein wie möglich, die dazu gehörende adjungierte Populationsbilanzgleichung hergeleitet, um mit deren Lösung in Verbindung mit der Simulation Gradienten berechnen zu können. Dies wird exemplarisch an für das SPP relevante Problemstellungen verifiziert.
Basierend auf einem durch das Z-Projekt (AG Heinrich) in Dyssol implementiertes Dateiinterface (HDF5-Datei) wird die Möglichkeit geschaffen den Gradienten eines Zielfunktionals im Hinblick auf zeitabhängigen Steuergrößen durch Simulation zweier Fließschemata zu berechnen.